Billy Summers

Stephen King: Billy Summers (Heyne Verlag, 2021)

In Kürze

Billy Summers ist ein Kriegsveteran und Profikiller. Für seinen letzten Auftrag muss er monatelang möglichst unauffällig in der Kleinstadt Red Bluff leben. Dazu gibt er sich als Schriftsteller aus, dem ein gewisser unsteter Tageswandel ja ohnehin zugestanden wird. Und je mehr Zeit er so verbringt, desto besser gefällt ihm dieses Leben als guter Nachbar in einem Mittelklassevorort. Doch mit Erledigung seines Auftrags muss er untertauchen. Schlimmer noch: er ist gelinkt worden. Von nun an ist er nicht nur auf der Flucht vor seinen Häschern, sondern zugleich auf einem einsamen Rachefeldzug. Wäre das nicht schwer genug, fällt ihm auch noch die vergewaltigte und schwer verletzte Alice gewissermaßen vor die Füße. Da Billy ein Mörder mit Moral ist (und außerdem Angst hat, dass die schwer verletzte Alice sonst Aufmerksamkeit auf ihn lenken könnte), kümmert er sich um Alice und nimmt sie schließlich mit auf seine Flucht.

Allein die spannend erzählte Handlung ist mehr als solide Handwerkskunst und macht den Roman lesenswert. Bemerkenswert ist, dass sich King Zeit nimmt für Details und Rückblenden, so dass letztlich das gesamte Leben Billy Summers mosaik-artig geschildert wird. Wirklich interessant macht das Buch aber die Frage, ob es so etwas wie einen anständigen Assassine geben kann und wie stark man sich als Leser mit ihm identifizieren darf.

Noch kürzer

Mördermoral

Billy Summers

Der gute Tod

Seneca: Der gute Tod (Reclam, 2017)

Der Tod, was ist er?
Das Ende oder ein Übergang.

Ich fürchte beides nicht.

In Kürze:

Das überaus lesenswerte kleine Büchlein fügt verschiedene Passagen über den Tod aus Senecas Lebenswerk thematisch geordnet neu zusammen.

Seneca erläutert, warum wir den Tod nicht zu fürchten brauchen und was der Tod für das Leben bedeutet. Er geht auch auf schwierige Themen wie den Suizid sowie den Tod naher Angehöriger ein. Zentral scheint dabei stets die Freiheit zu sein, die der Tod mit sich bringt: So lange er lebt, ist der Mensch frei, seinen Tod zu wählen und damit die Widrigkeiten des Lebens zu beenden. Mit Freiheit geht jedoch immer auch Verantwortung einher, denn keiner sollte die Freiheit zu sterben missbrauchen, um sich seinen Pflichten zu entziehen. Am Wichtigsten aber scheint, was wir durch die Reflexion über den Tod für ein gutes und gelingendes Leben lernen können.

Noch kürzer:

Sterbenskunde als Lebenskunde

Der gute Tod

Irgendwo. Aber am Meer

Arnold Stadler: Irgendwo. Aber am Meer (S. Fischer, 2023)

In Kürze:

Ein Schriftsteller wird auf einer Lesung im Weserwald vom Publikum desavouiert und macht sich, ein wenig niedergeschlagen auf nach Griechenland, ans Meer, in das Haus seines Schwagers auf Lefkada.

Wohlwollend formuliert, parliert das Alter Ego Arnold Stadlers in diesem Roman sprach- und wortgewandt über sich und das Leben. Etwas weniger wohlwollend formuliert, reiht das handlungsarme Buch langatmig und ermüdend die intellektualisierend formulierten Gedanken eines älteren Schriftstellers aus der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg aneinander. Da wirkt der Begriff des „Vogelscheuchensatzes“ leider schon gar nicht mehr so humorvoll-selbstironisch, wie er vielleicht gemeint war. Nun weiß jeder, dass wenn man in zufälliger Reihenfolge eine unendlich lange Reihe deutscher Wörter bilden würde, irgendwo in dieser Reihe jeder mögliche deutsche Satz, jede Aussage und jeder Roman zu finden wäre. Und so findet man auch in Irgendwo. Aber am Meer brillante Passagen und irrwitzig komische Ideen… allein es sind gemessen an der Seitenzahl zu wenige.

Noch kürzer:

Autorentristesse

Irgendwo. Aber am Meer

Ein Schuss Whiskey

Carsten Sebastian Henn: Ein Schuss Whiskey: Kriminalroman (DuMont Buchverlag GmbH, 2022)

In Kürze

Janus Rosner, Jungschriftsteller aus Deutschland mit Schreibblockade, beobachtet in Dublin einen Mord. Bei dem Versuch diesen aufzuklären, werden er und seine Mitbewohnerin Tessa immer tiefer in die kriminellen Machenschaften… ja, von wem eigentlich? … hineingezogen. Nun wäre der Roman kein „kulinarischer Kriminalroman“ (wie der Verlag ihn anpreist), wenn Henn nicht sein umfassendes Wissen über irischen Whiskey und die touristischen Hotspots Irlands in den Plot verwoben hätte. Während dies den Roman über weite Strecken durch eine weitere Dimension aufwertet, gibt es leider einige Passagen, in denen dies geradezu bizarr wirkt: Wenn es z. B. für die Protagonisten um Leben und Tod geht, sie sich in ihrer Verzweiflung ein Glas Whiskey genehmigen und der Autor sich dann mit geschmacklichen Chrakterstudien des Getränks aufhält, ist das für den Leser eher irritierend als bereichernd. In Anbetracht des ansonsten gelungenen Buches, sollte man hier aber nachsichtig sein.

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Süffig

Ein Schuss Whiskey

Als Einstein und Gödel spazieren gingen

Jim Holt: Als Einstein und Gödel spazieren gingen: Ausflüge an den Rand des Denkens (Rowohlt, 2020)

In Kürze

Spannend und unterhaltsam erzählt Jim Holt von großen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Entdeckungen. So schreibt er über Raum und Zeit, Zahlen und Mengen, Webstühle und Computer. Dass er dabei immer auch die Menschen und die menschlichen Begegnungen, die zu diesen Denkfortschritten geführt haben, in den Mittelpunkt seiner Essays rückt, macht das Buch zu einem besonderen Lesevergnügen. Allerdings lassen sich Themen wie die String-Theorie, Mandelbrots Erkenntnisse oder die Riemannsche Vermutung nicht in dem Sinne allgemeinverständlich darstellen, dass der mathematisch-akademisch Unvorgebildete sie in einer gewissen Tiefe durchdringen kann. So dürfte das Buch bei diesen Lesern das etwas schale Gefühl zurücklassen, den Kern dessen, worum es in dem einen oder anderen Essay ging, eben doch nicht erfasst zu haben.

Noch kürzer

Wissenschaftsandekdoten

Als Einstein und Gödel spazieren gingen

Vita Contemplativa

Byung-Chuhl Han: Vita Contemplativa oder von der Untätigkeit (Ullstein, 2022)

Das Zeremoniell der Untätigkeit bedeutet:
Wir tun zwar, aber zu nichts.
Dieses
Zu-nichts, diese Freiheit vom Zweck und Nutzen
ist der Wesenskern der Untätigkeit.

In Kürze
Auf 127 Seiten nimmt der koreanisch-deutsche Philosoph Han den Leser mit auf eine Reise zu ausgewählten (überwiegend europäischen) Stationen der Geistesgeschichte der Untätigkeit. Dabei erschließt er dem Leser viele neue Einsichten – so z. B. die Bedeutung des Festes als überbordende Daseinsgestaltung frei von zielgerichtetem Handeln und somit als Ausdruck reinen Seins (oder eigentlich besser noch: reiner Seinsfreude). Dass Han sich nebenbei immer wieder an Hannah Arendt abarbeitet, die er als Promoterin des tätigen Lebens kritisiert, ist eine Schattenseite, des ansonsten lesenswerten Essays.

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Seinswesentlichkeit

Vita Contemplativa

Crossroads

Jonathan Franzen: Crossroads – A Novel (Picador, 2021)

In Kürze

Franzen erzählt im Auftakt seines Trilogievorhabens von Russ Hillebrandt, einem Pastor, seiner Frau Marion und ihren vier Kindern Judson, Perry, Becky und Clem. Die Familie lebt in einer Kleinstadt nahe Chicago in den USA der 70er Jahre und erwartet zu Beginn des Romans das Weihnachtsfest des Jahres 1971. Was eine langweilige, bereits x-mal erzählte Familiensaga vermuten lässt, entpuppt sich als fesselnde Multibiographie, die individuelle Schicksale äußerst gekonnt mit gesellschaftlichen und philosophischen Fragen verknüpft. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien und Kulturen, zwischen Pazifisten und (Vietnam-)Kriegsbefürwortern, zwischen religösen Eiferern und Liberalen und nicht zuletzt zwischen den Generationen ringen die Protagonisten nicht nur um ihren Platz in Famile und Gesellschaft sondern auch um ihren moralischen Kompass.

Noch Kürzer

Fiction at its best

Crossroads