Die Anomalie

Hervé Le Tellier: Die Anomalie (Rohwolt Buchverlag, 2021)

Ein Flugzeug auf dem Weg von Paris nach New York gerät in eine Gewitterfront und taucht aus dieser gleich zweimal wieder auf – einmal im März, wenige Stunden nach dem Abflug in Paris, und einmal im Juni, ganze drei Monate nach dem Abflug. Nur: wie kann das sein? Das gleiche Flugzeug, die gleichen Menschen, nicht gealtert…

Le Tellier hat sich hier ein spannendes Gedankenexperiment überlegt, das viel Raum böte für religiöse und philosophische Überlegungen aber auch für Geschichten über Menschen und ihre gelebten und ungelebten Biographien. Nur leider nutzt Le Tellier diese großartige Chance auf einen brillanten Roman nicht wirklich. Bei den Geschichten der Passagiere bleibt er oft an der Oberfläche und verzettelt sich ein wenig in ihrer Vielzahl; den philosophischen Reflexionen fehlt häufig die Profundität. Für einen potentiell derart mächtigen Roman reichen die 352 Seiten wohl einfach nicht aus – er hätte vermutlich mindestens das dreifache Volumen benötigt. Aber auch wenn die Auszeichnung mit dem Prix Goncourt 2020 so vielleicht nicht ganz nachvollziehbar ist, geistreich und unterhaltsam zu lesen ist der Roman in jedem Fall.

Die Anomalie